Don't trust the hype | Zukunftsjournal

Don't trust the hype

Wie Unternehmen bei Mitarbeitenden Vertrauen in die Zukunft stärken

Don't trust the hype

Wenn Vertrauen eine Stimme hätte, dann würde uns das Gefühl erzählen, wie erschöpft es eigentlich ist. Täglich kämpfen tausende Werbungen, Parteien, Beziehungen und Arbeitgeber:innen um das Vertrauen ihrer Kunden:innen, Zuhörer:innen, Partner:innen oder Arbeitnehmer:innen. Meistens wird dies über Versprechen versucht. Prozente, Leistungen, Benefits oder die ewige Treue. Vertrauen ist das große Ding. Davon leben in allererster Linie Marken und Unternehmen, aber auch Beziehungen. Ein Mensch soll in etwas außerhalb von sich selbst Vertrauen fassen. In ein Produkt, eine Leistung, ein Unternehmen oder eine andere Person. Ergebnis dieses Hypes, dieser Erwartung, ist zumeist immer Enttäuschung. Denn in jeder Beziehung, sei es beruflich, privat oder unternehmerisch, entstehen immer unterschiedliche Bilder in den Köpfen der Beteiligten. Denn jeder Mensch verspricht sich etwas Anderes von einer vertrauensvollen Beziehung. Die einen mehr Wachstum oder Gewinn, die anderen Sicherheit, Glück oder weniger Stress. Jahr für Jahr werden Milliarden an Imagekampagnen, Werbungen und für Versprechen ausgegeben, damit auf Kosten von Vertrauen unterschiedliche Ziele erreicht werden.

Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen

Als Geschäftsführer habe ich mich oft dabei beobachtet, wie ich einem neuen Mitarbeitenden flexible Arbeitszeiten, kreative Mitsprache und andere Benefits versprochen habe – und musste dann erkennen, dass ich im Gegenzug Vertrauen wollte – mir oder dem Unternehmen gegenüber. Oft war jedoch mein Vertrauen in sie oder ihn nicht groß genug. Die Praxis schlägt doch oft die Theorie. Was dem oben beschriebenen Szenario zugrunde liegt: Dass man das Vertrauen nicht in einem Menschen wachsen lässt - sondern ausserhalb von ihm. Wir, Unternehmen, Marken und Menschen, nehmen dem Einzelnen die Verantwortung ab, in sich ein Vertrauen zu entwickeln – zu sich selbst. Und wenn man das hat, dann fällt auch das Vertrauen in die Zukunft leichter. Und so kommt es dazu, dass man über lange Zeit Vertrauen im Außen, im Unternehmen erzeugen kann, der Mensch sich aber nicht mit seiner Arbeitsstelle verbindet. Es ist dann nicht das eigene Vertrauen. Er gibt sozusagen sein Vertrauen an der (Unternehmens-) Garderobe ab und kleidet sich in ein ihm fremdes Vertrauen, in dem er sich nicht so richtig wohl fühlt.

Wer sich selbst vertraut, vertraut der Zukunft

In Unternehmen kann man Folgendes beobachten: Die Mitarbeitenden bleiben Beobachter:innen und Bewerter:innen. Sie kontrollieren, ob alles stimmt was die/der Arbeitgeber:in verspricht. Oft weiß man gar nicht so recht, was man selbst möchte und wenn mal eine Sache schief geht, dann wird der Job oder gleich das ganze Unternehmen in Frage gestellt. Wenn es nicht das eigene Vertrauen ist, die eigenen Verbindung zu sich und der Arbeit - dann bleibt auch immer der Montag schwierig und der Freitag der Rettungsring, der einen ins Wochenende hilft. Das Wochenende scheint ein Ort zu sein, dem man vertraut. Ein Ort an dem man sich richtig fühlt. So reicht das eigene Vertrauen immer vom Freitag Nachmittag bis Sonntag, aber nie darüber hinaus. Von Montag bis Freitag lebt man mit einem Vertrauen, dass ein brüchiges Fundament hat. Die Zukunft ist der gleiche Ablauf – nur ein paar Jahre später. Wie stärkt man also das Vertrauen der Mitarbeitenden zu sich selbst und damit in die Zukunft? Zukunft ist eine Frage der Haltung. Die Frage lautet: Möchte ich Vertrauen in etwas erzeugen oder das Vertrauen in den Mitarbeitenden stärken? In unserem Unternehmen fragen wir in einem Vorstellungsgespräch immer zu Beginn: „Wie sieht Dein Leben in 5 Jahren aus? Wenn es keine Begrenzungen gibt …“ An den Antworten merke ich schnell: Habe ich jemanden vor mir sitzen, der Vertrauen in sich, in eine Vision hat – oder sitzt jemand mit großen Augen vor mir und gibt mir eine Antwort, die ins Unternehmen passt, oder noch besser in die Stellenausschreibung. Menschen fällt es extrem schwer, ein Bild von Zukunft zu formulieren und die Verantwortung bei sich zu sehen. Dem Arbeitgeber wird mit Unterschrift des Arbeitsvertrages alle Verantwortung gegeben, den Mitarbeitenden glücklich zu machen. Selbstverständlich hat das Unternehmen einen großen Anteil daran, den Arbeitsplatz zu einem Stück Heimat werden zu lassen, doch gelingen kann es nur mit – Vertrauen. Das ist, was ich von meiner Seite schreiben kann. Es geht um die Bereitschaft, kein künstliches Vertrauen zu erzeugen, sondern es in den Menschen wachsen zu lassen – für jeden Menschen individuell und langfristig. Unabhängig davon, ob ich als Arbeitgeber:in einen kurzen oder längeren Lebensabschnitt begleite. Es geht um den Menschen, nie um das Konstrukt. Was Mitarbeitende wirklich brauchen, um Vertrauen in die Zukunft zu haben, kann wohl nur ein Mitarbeitender sagen. Ich habe den Staffelstab kurzerhand an unsere Social MediaManagerin Maren (23) weitergegeben und bin selber gespannt auf die für diesen Artikel notwendige andere Perspektive auf die Sache.

Carsten, Geschäftsführer

Vertrauen kann sich nicht anpassen

Im Vorstellungsgespräch hatte ich mir vorgenommen, so gut wie möglich zur Stellenausschreibung zu passen. Gesucht wurden 10 Stunden Videoschnitt. Das konnte ich. Hatte ich mir im Studium angeeignet. Mitten in Corona war mir bewusst, dass nicht viele Unternehmen Mitarbeitende suchen, schon gar nicht Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Ich hatte das Ende meines Studiums im Lockdown verbracht. Wenig Kontakt, ein Haufen abgesagter Praktika, Reisen oder anderer Pläne, die eigentlich nach dem Studium auf mich und meine Kommiliton:innen gewartet hatten. Ich war bereit, alles zu machen und vor allem mich anzupassen. Eben auch in einem Unternehmen als Videoeditorin zu arbeiten, das Zukunftsbilder schreibt. Was auch immer das ist. Diese Frage stellte ich mir nämlich. Um so verwunderter war ich über eine der ersten Fragen, die mir eine Mitarbeiterin des Unternehmens am Telefon stellte: „Wie sieht Dein Leben in 5 Jahren aus – wenn es keine Begrenzung gibt?“ Ich stutzte, denn mir schossen direkt zwei Antworten durch den Kopf. Die, von der ich dachte, dass sie die richtige wäre, die auf die Stelle und zum Unternehmen passt – oder meine ganz persönliche Antwort. Ich entschied mich für mich und sagt fast unvermittelt:„ Ich würde gerne einen Kinofilm gedreht haben!“. Dieses Bild war so weit weg vom Unternehmen, den Umständen und den Aufgaben, die hier auf mich warteten, dass ich den Eindruck hatte, ich hätte soeben ein verbindliches, langfristiges Arbeitsverhältnis verspielt. Bevor weitere Gespräche stattfanden, nahm ich an einem Seminar teil, welches vom Unternehmen durchgeführt wurde. Ein Zukunftsbild-Seminar. Es ging wieder um meine Person. Die Frage nach meinem Zukunftsbild und der Suche nach meinem WARUM. Meinem Purpose – wie man so schön sagt. Darum, welchen Sinn meine Arbeit haben soll und welches der stärkste innerliche Motor ist, der mich jeden morgen aufstehen lässt: Ich möchte Menschen, die gehört werden müssen, eine Stimme verleihen.

Das bin ich– und deshalb bin ich hier richtig

Im Rahmen dieses Bewerbungsprozesses habe ich also zu mir und meinen ganz persönlichen Stärken gefunden. Zu wissen, wohin meine Reise geht, damit ich besser entschieden kann, ob dieses Unternehmen die richtige Station zum Ziel ist. Es ging nicht darum, wie ich zur ausgeschriebenen Stelle passe, sondern darum, ob ich mich mit der Arbeit überhaupt verbinden kann. Ich bin seit 8 Monaten im Unternehmen, arbeite keine 10, sondern 40 Stunden in der Woche, bin Social Media Managerin und vollwertiger Teil des Teams. Ich bekomme immer noch Fragen gestellt, auf die ich meine Antworten noch finden muss. Aber deshalb ist meine Aufgabe auch mit mir gewachsen. Als wir in diesem Jahr noch einmal die Auswirkung von Corona zu spüren bekamen, merkte ich, wie das Führungsteam mit sich kämpfte, strauchelte und versuchte, das Ziel im Blick zu behalten. Nervosität und Unsicherheit machten sich so breit, dass Zweifel aufkamen. Aber in mir war immer noch dieser eine Teil lauter, der wusste, dass er an der richtigen Stelle ist. Dass ich nicht irgendeine Arbeit mache und zu irgendeiner anderen Stelle wechseln will. Ich hatte die Sicherheit, dass mein Beitrag, den ich hier täglich leiste, mich in die Richtung meines Zukunftsbildes führt. Ich hatte Vertrauen in mich und damit auch Vertrauen in die Zukunft.

Und so wie der Bewerbungsprozess verlief, empfinde ich auch die Zusammenarbeit. Mir werden Fragen gestellt und keine Lösungen präsentiert. Ständig auf der Suche nach Antworten, die ich finden muss, finde ich meine eigenen Antworten und lerne dadurch Tag für Tag viel mehr. Die Sicherheit, die ich gegenüber der Zukunft empfinde, lässt mich als ganzer Mensch agieren, nicht als eine Stellenbeschreibung. Manchmal beobachte ich auch, dass Fragen und Vorschläge von Mitarbeitenden wie eine Gefahr oder Kritik von der Geschäftsführung aufgenommen werden. Das wundert mich. Denn wenn wir zusammen ein Zukunftsbild haben, dann können wir doch jede Frage und jede Kritik dem Bild zuordnen und bewerten. Dann ist es egal woher es kommt – sondern nur noch wichtig wohin es führt? Ich finde das schafft unglaubliches Vertrauen. Weil in unserem Köpfen die Zukunft schon fertig ist und wir unterwegs dorthin sind. Jeder für sich privat und beruflich gemeinsam.

Es kommt immer die Zukunft, für die man sich entscheidet.

Was wir durch unsere Zukunftsbild-Arbeit mit Unternehmen und deren Mitarbeitenden gelernt haben? Es geht um eine grundlegende Änderung der Haltung. Der Perspektivenwechsel: weg von der Sicht auf das Problem – hin zu einem inspirierenden, motivierenden, erwünschten Zukunftszustand und die Entscheidung, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Ziele werden nicht nur langfristig und hoch gesteckt, sondern kreativ ausgewählt, da sie aus dem tiefsten Inneren der Beteiligten kommen. Sie gehen über das Normale hinaus – sie durchbrechen vor allem Grenzen. Der größte Gewinn dieses Vorgehens ist jedoch ein langfristiger, fundierter Aufbau des Vertrauens. Das Vertrauen bei den Menschen beginnt mit der Transparenz der Führung bezüglich des Warum, Wie und Wohin. Das schafft, was sich Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen so sehnsüchtig wünschen: Lust auf Zukunft und eine realistische Chance, diese Zukunft zu erreichen.

J.Fenn